Hehlen/Brökeln (ant). Brökeln – ein kleines, verschlafenes Dorf in der Nähe von Bodenwerder. Hübsche Einfamilienhäuser mit perfekt gemähtem Vorgarten und hübschen Blumen und Sträuchern prägen das Landschaftsbild. Es ist Ende August. Die Sonne steht hoch am Horizont und scheint mit ganzer Kraft auf den Asphalt. Die Stille wird durchbrochen von Hühnern, die in der Ferne friedlich gackern. Inmitten dieser ländlichen Idylle sticht ein altes Fachwerkhaus von 1861 hervor: Vor dem Eingangsbereich sind schwarze, etwa zwei bis drei Meter große Gestalten zu sehen. Die Figuren sind komplett in dunkle Umhänge gehüllt. Die Gesichter sind verdeckt. Ihre Gestalt erinnert an die eines Sensenmanns. Manche von ihnen halten ein Buch, einen Sebel oder eine Laterne in den Händen. Etwas seitlich gelegen, auf einer Mauer, sitzt solch eine Gestalt mit einem Fernglas in der Hand und blickt in Richtung Straße.
Der Weg zum Eingangsbereich erfolgt über eine steinerne, doppelseitige Treppe. Das Treppengeländer ist mit dicken, schwarzen Tüchern behangen. Vor der Eingangstür stehen zwei riesige Buddha-Figuren. Hinter den Figuren ist ein Vordach zu sehen. Im Fenster hängt ein weiß laminiertes Schild mit der Aufschrift: Hier wohnen: Manuela und Hans Blum, Florian Bartels, Janik Bartels und Bernd Wulf. Eine kleine Frau öffnet die Tür. Ihre dunkelgrauen, weiß durchsträhnten Haare sind am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengebunden. Sie lächelt und sagt mit einer etwas rauchigen Stimme: „Hallo, ich bin Manuela Blum“. Gemeinsam mit ihrem Mann, ihren zwei Söhnen und einem Freund der Familie bewohnt sie die „Betonwerkstatt in Hehlen“. Auf dem 3600 Quadratmeter großen Grundstück werden die Gestalten von ihr und den vier Männer gefertigt. „Ela“, wie Manuela Blum von Familie, Freunden und Bekannten genannt wird, nennt die Gestalten „Wächter“. Seitlich neben dem Hauseingang ist ein riesiger Efeu-Bogen. Direkt beim Betreten des Grundstücks sind kleine Wächter, welche auf Stühlen sitzen und ein Buch in den Armen halten, zu sehen. Neben ihnen stehen etwas größere Wächter mit Wassereimern in den Armen.
Dahinter eröffnet sich ein riesiges Anwesen: Inmitten eines mit Kieselsteinen aufgeschütteten Innenhofes, welcher von insgesamt drei Häusern umringt ist, steht ein riesiger Baum. Seine Blätterkrone erstreckt sich über den gesamten Hof und taucht den Innenhof in schattiges Licht. Um den Baum herum stehen zahlreiche Wächter – teils noch unbemalt. „2018 sind wir hier eingezogen. Wir haben den Garten hergerichtet und die Wohnungen in den Häusern komplett selbst ausgebaut“, berichtete Ela sichtlich stolz, während sie auf einem Sessel, auf ihrer großen, von Blumen und Wächtern umringten Terrasse, Platz nahm. Den Sessel und das Sofa, den riesigen Holztisch und die Terrassen-Überdachung haben ihr Mann, die zwei Söhne und der Freund der Familie, selbst gebaut. Die vier Männer lieben es mit Holz zu arbeiten, sagt Ela. Auf einem Baum sitzt ein kleiner Wächter auf einer Schaukel und wiegt im Wind. Neben ihm ist ein Windspiel zu sehen, welches sanfte Klänge von sich gibt. Mit dem Kauf des Anwesens sei ein Traum von ihr, ihrem Mann und deren besten Freund Bernd in Erfüllung gegangen: „Wir hatten die Idee, kurz bevor wir in Rente gehen, uns ein schönes Plätzchen zu suchen und zusammenzuziehen“ erklärte sie. Zufällig seien sie auf das große Anwesen in Brökeln gestoßen. Gemeinsam bewohnen sie, aufgeteilt auf drei Häuser, insgesamt 560 Quadratmeter Wohnfläche.
Eines Tages keimte in Ela der Gedanke auf, für ihr großes Anwesen Blumentöpfe zu fertigen. Sie holte sich für die Fertigung von Betonkübeln Anregungen aus dem Internet. Das sei der Auslöser für die Idee zum Bau der Wächter gewesen: „Eines morgens bin ich aufgewacht und hatte die Idee einen Wächter zu bauen“, erinnerte sie sich. Das sei im Jahr 2019 gewesen. Bereits in der Vergangenheit habe sie den österreichischen Maler und Bildhauer Manfred Kielnhofer interessant gefunden, welcher für „die Wächter der Zeit“ bekannt ist. „Mich interessiert alles, was man selbst herstellen kann“, sagte sie. Im Haus gibt die Kaffeemaschine ein sirrendes Geräusch von sich. „Mit Milch und Zucker?“, fragte sie, während sie die warme Tasse Kaffee auf den Tisch stellte.
Der erste Wächter sollte als Dekoration für den Garten dienen. Durch die Herstellung der Blumenkübel wusste sie bereits ganz genau, wie die Betonmischung hergestellt werden muss. Ihre Söhne, ihr Mann und der beste Freund sind beim Gerüstbau behilflich. Die Wächter werden aus Dachlatten zusammengeschraubt und kommen zur Befestigung auf Paletten: „Je besser das Gestell, umso besser ist der Wächter am Ende“, spricht Ela aus Erfahrung und fügte hinzu, dass ihr Sohn Janik sehr gute Holz-Gestelle herstellt. So würde sich der Stoff direkt anschmiegen und die Falten schon fast von allein fallen. Der Stoff wird in Beton getaucht, über das Gerüst gelegt und getrocknet. Zu Beginn habe Ela übrig gebliebene, alte Bettwäsche für ihr Vorhaben genutzt. 20 bis 40 Meter Stoff benötigt Ela für einen Wächter. „Mittlerweile bestelle ich den Stoff im Internet“, sagte sie und fügte hinzu, dass sie für die Herstellung Stoff aus Baumwolle benötigt: „Dieser Stoff ist durchlässig, verbindet sich von beiden Seiten und härtet richtig aus“, erklärte sie, während sie mit ihren Fingern die Kaffeetasse umschlug. Auf dem Holztisch lag eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug.
An ihren ersten Wächter kann sich Ela noch gut erinnern: „Der ist etwas klein und dick geraten und hat zu wenig Falten am Umhang“. Für den ersten Versuch sei sie aber zufrieden gewesen. Bei YouTube zeigt Ela allen Interessierten, wie ein Wächter gebaut wird. Ihr Mann filmt sie und stellt die Videos ins Internet. „Wenn die Leute Fragen haben, wie ein Wächter gebaut wird, gebe ich gerne Ratschläge“, sagte sie und erzählte, dass erst kürzlich jemand aus Tschechin angereist war, um sich vor Ort über den Bau solcher Wächter zu informieren. Um den Beton herzustellen, würden zwei Teile Sand und einen Teil Zement benötigt werden: „Zement ist quasi der Kleber – je mehr Sand desto härter ist de beton“, erklärte Ela – sie hat für sich die perfekte Mischung gefunden, sagt sie. Für die Wächter im Innenbereich müsste allerdings nicht so viel Sand verarbeitet werden, da sie nicht so wetterfest sein müssen. Damit die 1,80 bis 3,20 Meter großen Wächter für den Außenbereich dem Wetter Stand halten, müssen sie zuerst trocknen. Anschließend werden sie mit Farbe grundiert und als Versieglung mit Epoxidharz beschichtet. Drei bis vier Wochen benötigt der Beton, um vollständig auszuhärten. Im Winter arbeitet Ela nicht an den Wächtern: „Unter fünf Grad bauen wir nicht, dann härtet der beton nicht aus“, weiß sie. Die besten Temperaturen zum Bauen eines Wächters seien um die 20 Grad. Zu hohe Temperaturen und die direkte Sonneneinstrahlung würden den Beton zum Bröckeln bringen. Die Wächter wiegen je nach Größe und Ausführung um die 80 bis 200 Kilo. „Preislich fangen wir bei etwa 490 Euro an – nach oben hin sind keine Grenzen gesetzt“, sagte Ela.
Als besondere Highlights könnten die Umhänge der Wächter mit „Maya- und Inkagold-Farbe“ verziert werden. Diese Farben seien von den Mayas und den Inkas farblich nachempfunden und würden sich besonders gut eignen, da sie sehr wetterfest sind, weiß Ela. Je nach Kundenwunsch können die Wächter gestaltet werden. Oftmals würden die Kunden auch eigene Ideen in die Fertigstellung der Wächter mitbringen: Ein Kunde habe für seinen Wächter stahlblaue Augen haben wollen, welche im Dunkeln leuchten. „Der Mann war Elektriker und musste selbst schauen, ob die LED-Spots gut und sicher angebracht sind“, betonte Ela. Auch Wächter mit leuchtenden Kugeln, oder Lotusblumen in den Armen, umgeben von Spinnen, oder mit Flügeln zählten bereits zu den Aufträgen.
Die Wächter, welche zu Beginn nur für den Eigenbedarf gedacht waren, erfreuen sich inzwischen großer Beliebtheit - Mittlerweile werden die Wächter in ganz Deutschland und Europa verkauft: Bayern, Schleswig-Holstein, Berlin, holländische Grenze, Dänemark, Norwegen, Tschechien, Polen und Schweiz zählen dazu. „Das meiste geschieht nur über Mundpropaganda“, betonte Ela. Viele ihrer Kunden würden von Interessierten auf die Wächter angesprochen werden. Auch Events mit Essen können in der Betonwerkstatt gebucht werden. Ela stammt aus der Gastronomiebranche und bereitet die Speisen für die Veranstaltungen selbst zu. Neben den Wächtern fertigt Ela auch Dekoartikel für den Garten, Grabschmuck und Schmuck an. In einem kleinen Raum, neben dem Eingangsbereich des Hauses, befindet sich ein kleines Geschäft. Auf der Tür ist ein Schild mit „Betonwerkstatt – herzlich Willkommen, schön, dass du da bist“, zu lesen. Vor der Tür sind Blumenkübel aus Holz zu sehen, welche mit roten Blumen bepflanz sind. „Ich habe für eine Kundin Grabschmuck für ihren Hund angefertigt“, erzählte Ela. Sie zeigte ein kleines aus Epoxidharz gefertigtes Herz, in welchen ein wenig Asche des Hundes eingefügt war. „Wir versuchen alle Kundenwünsche möglich zu machen“, betonte sie.