Landkreis Holzminden (red). Bereits zum dritten Mal ist der Landkreis Holzminden mit seinem Vorhaben, eine IGS zu errichten, an der notwendigen Elternbefragung gescheitert. Dennoch nehmen sich die Partner der neuen Ampelkoalition vor, eine vierzügige OBS aufzubauen, die später zur IGS werden könnte. Dabei war das Votum der Eltern eindeutig: Nicht nur die Beteiligung an der jüngsten Umfrage war gering (727 Antworten auf 2.245 verschickte Fragebögen), auch die Zustimmung: Knapp zwei Drittel der Teilnehmenden stimmten dagegen, mit nur 268 Ja-Stimmen wurde die erforderliche Schülerzahl nicht erreicht.
Der Kreis mag sich das mangelnde Interesse damit schönreden, den Eltern fehle der Glaube, dass sich noch etwas bewege. Ebenso könnte er in Erwägung ziehen, dass es Eltern befremdet, alle paar Jahre zu derselben Umfrage aufgefordert zu werden, wobei die möglichen Standorte munter durch das Kreisgebiet wandern – gestern Bodenwerder, heute Stadtoldendorf, morgen Eschershausen oder doch eine neue Schule „auf der grünen Wiese“. In Betracht käme zudem, dass nur ein geringer Teil der Elternschaft von der Schulform IGS überzeugt ist und der Rest es schlicht für wichtiger hält, dass die Kinder wohnortnah beschult werden. Wo soll ein gesteigertes Interesse der Eltern auch herkommen, wenn nicht mal die von ihnen gewählten Politiker – von wenigen Ausnahmen abgesehen – für eine IGS werben und die vom Landkreis angebotenen Informationsveranstaltungen besuchen? Der scheidende Kreistag hat nach zähem Ringen um Mehrheiten einen Beschluss gefasst und für eine zu errichtende IGS den Standort Stadtoldendorf favorisiert. Schon dieses Vorgehen war gewagt, bevor die Elternbefragung überhaupt durchgeführt wurde. Doch der Landrat und der Kreisbaurat mochten sich nicht vorstellen, dass die damit einhergehende Schließung der Schulen in Eschershausen und Bevern wieder rückgängig gemacht werden würden. Schließlich beschwor der Kreiselternrat in seinem Leserbrief, auch nach der Wahl würden sich keine neuen Optionen auftun. Die neue Ampel belehrt sie alle eines Besseren. Wer im Juli eine Nordschule noch für nicht durchsetzbar hielt, präsentiert diese nunmehr als die Lösung und erachtet es als machbar, die HRS in Eschershausen durch Um- und Anbau derart auszustatten, dass sie in Zukunft zu einer vierzügigen IGS umgewandelt werden könnte. Vor dem Hintergrund des ablehnenden Votums der Umfrage erscheint das geradezu zynisch. Die letzte Entscheidung treffen hier jedenfalls nicht die Eltern! Durch derartige parteipolitische Manöver werden sie ständig vor neue Herausforderungen betreffend die schulische Zukunft ihrer Kinder gestellt. Ihre Frustration gegenüber Befragungen ist nachvollziehbar.
Es mag sein, dass die Anmeldezahlen für eine IGS irgendwann steigen. Aber nicht, weil Eltern attraktivere Wahlmöglichkeiten im Kreis nutzen und sich bewusst für eine neue Schulform entscheiden, sondern weil es in der Nähe ihres Wohnorts keine Alternative gibt. Wenig schmeichelhaft wurde hier von der „Umverteilung“ der Schülerinnen und Schüler im Zuge der Schließung einzelner Standorte gesprochen. Allein die Wortwahl lässt tief blicken: Schließlich geht es hier um junge Menschen und deren Recht auf Bildung! Die Frage nach dem geeignetsten Standort für eine neue Schule sollte sich vornehmlich daran ausrichten, wo die meisten derzeitigen und zukünftigen Schülerinnen und Schüler leben. Auch nach dem geplanten Wegfall der Schulbezirke werden sich viele Kinder wünschen, möglichst wenig Zeit auf dem Schulweg zu verbringen. Die Schülerbeförderung ist schon jetzt an vielen Stellen verbesserungswürdig. Was die Koalitionspartner vorhaben, wird für viele Mädchen und Jungen längere Fahrzeiten in volleren Bussen bedeuten. Dadurch vermehrter Co2-Ausstoß ist schädlich für die Umwelt, die die Ampel doch auch für schützenswert erachtet. Und für den Kreis sind vor allem höhere Beförderungskosten die Folge. Schließlich ist zweifelhaft, ob es mit diesem Vorhaben gelingt, Familien zurückzugewinnen, die ihre Kinder in den Nachbarkreisen zur Schule schicken.
Schulen jahrgangsweise auf verschiedene Standorte aufzuteilen oder als Haupt- und Außenstelle zu konzipieren, erscheint nicht nur wegen der Schülerbeförderung wenig praxisnah. Sollen etwa die Lehrkräfte in der fünf-Minuten-Pause zwischen zwei Standorten pendeln? Oder wird es getrennte Kollegien je Standort geben? Wie soll daraus eine Schule als organisatorische und soziale Einheit wachsen? Ein solches Vorhaben wirft zahlreiche Fragen auf, für die noch keine Lösung gefunden wurde. Der Kreiselternrat hoffte, eine attraktive Schule könnte Lehrkräfte animieren, sich ins Kreisgebiet zu bewerben. Im Falle einer avisierten IGS ist zu bedenken, dass diese Schulform letztlich zum Ziel hat, möglichst viele Schüler zum Abitur zu bringen. Daher werden hier überwiegend Gymnasiallehrer eingestellt. Diese werden in ihrem Studium jedoch gerade nicht vorrangig darin ausgebildet, mehrfach differenzierten Unterricht zu halten. Zudem ist eine Stelle an einem „richtigen“ Gymnasium besser bezahlt, und daher für entsprechend ausgebildete Lehrkräfte attraktiver. Wo bleiben zudem die Lehrerinnen und Lehrer, die jetzt an den auslaufenden Schulen unterrichten? Nach deren Schließung werden sie vom Dienstherrn an andere Schulen versetzt. Für die Lehrkräfte bedeutet das unter Umständen sehr viele längere Anfahrtswege zum Arbeitsplatz, eine Fernbeziehung mit der Partnerin oder dem Partner oder weitere Umstände bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wer sich das nicht zumuten möchte, bewirbt sich schon jetzt im Einvernehmen mit seinen Angehörigen um freie Stellen – und zieht vielleicht ganz weg. Dem Abbau des Lehrermangels ist dieses Szenario sicherlich nicht zuträglich.
Ferner sind die Vereinbarungen der Koalitionäre auch vor dem Hintergrund des klammen Finanzhaushalts des Kreises nicht nachvollziehbar. Der Standort Stadtoldendorf wurde unter anderem gewählt, weil der Kreis hier über eigene Flächen für einen eventuellen Schulneubau verfügt. Rund um das Gebäude der HRS Eschershausen befindet sich nichts als Ackerland in Hanglage. Für den Erwerb von Grundstücken müsste der Kreis weitere Finanzmittel aufbringen, die zusätzlich zum An-, Um- oder Neubau von Schulgebäuden anfielen. Es drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob nicht ein pfiffiger Landwirt seine weniger gut nutzbaren Flächen gewinnbringend veräußern will – und hierfür in der Ampel eine Lobby hat.
Ein Kreis, der im nächsten Jahr mit einem strukturellen Fehl von 20 Millionen zu kämpfen hat, sollte sowie nicht über großspurige Neubauten spekulieren. Zudem sollte jede kreisangehörige Gemeinde, die ihren Obolus an die Kreisschulbaukasse zahlt, auch etwas daraus zurückbekommen. Dass die bestehenden Schulgebäude teilweise den baulichen und pädagogischen Ansprüchen nicht mehr genügen, liegt an fehlenden Investitionen in ihren Bestand oder ihre Ausstattung. Da dürfen an einer Oberschule voll ausgestattete Fachräume nicht benutzt werden, weil ein zweiter Fluchtweg fehlt. Um die Vorschriften des Brandschutzes zu erfüllen, könnte eine schlichte Gerüsttreppe an der Außenwand angebracht werden. Doch dafür fehlt offenbar das Geld. So werden die Gebäude tatsächlich nicht besser. Und die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass ihre Bedürfnisse dem Schulträger nichts wert sind. Dass die Ampelkoalition ihre Pläne noch vor der konstituierenden Sitzung des neuen Kreistages in der dargestellten Entschiedenheit öffentlich macht, mag ein politischer Schachzug gewesen sein. Einer ergebnisoffenen Diskussion im neuen Kreistag greift die Koalitionsvereinbarung vor. Doch dort, im Plenum, sollte ein Kompromiss gefunden werden, mit dem alle betroffenen Schulstandorte leben können. Die Aussage eines Volksvertreters, man wolle in dieser Legislaturperiode endlich Fakten schaffen, klingt daher eher wie eine Drohung anstelle einer Chance, zum Wohle aller Kinder, Eltern, Lehrenden und Schulangestellten im Landkreis gestalterisch tätig zu werden. Von einem einkehrenden Schulfrieden kann daher keine Rede sein. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, ambitionierte Politiker wollten sich mit diesem Projekt ein Denkmal setzen. Seien Sie gewarnt: Wer auf einem hohen Sockel steht, kann tief fallen.
Petra Thiel
Lenne
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