Eschershausen (kp). Noch einmal den Schlüssel ins Türschloss stecken und gegen den Uhrzeigersinn bewegen. Einmal drehen. Zweimal. Jetzt ist die Tankstelle akkurat verschlossen. So hatte es Günter Weidemann 28 Jahre lang jeden Abend gemacht.
An diesem Abend jedoch, den 31. August 2018, fühlt es sich irgendwie anders an. Wie das Ende eines langen Kapitels, eines mit Höhen und Tiefen, aber letztendlich mit einem hoffnungsvollen Abschluss. Wenn der 59-jährige Tankwart am nächsten Abend den „Laden“ schließen wird, würde sie nicht mehr ihm gehören, „die Tanke“. Günter Weidemann hat Schluss gemacht. Nach 28 Jahren hat er die Selbstständigkeit aufgegeben, um nun als normaler Angestellter in der Tankstelle weiterzuarbeiten.
„Es war ein unglaublich schwerer Schritt für mich“, erzählt er uns in einem Gespräch. „Am Ende ging es nicht anders.“ Es seien gesundheitliche Gründe, die ihn zu diesem Schritt gezwungen haben. „Alles, was ich im Zusammenhang mit der Tankstelle in den letzten 28 Jahren gemacht habe, tat ich mit ganz viel Herzblut und genauso viel Leidenschaft“, blickt Weidemann zurück. Immerhin: Mit „nur noch“ 40 Arbeitsstunden pro Woche konnte er sein Arbeitspensum fast halbieren. „Ich habe fast jede einzelne Stunde genossen“, schmunzelt er in Anbetracht dieses immensen Arbeitsaufkommens der letzten fast 30 Jahre. Doch egal, wie sehr sich der 59-Jährige mit seiner Arbeit identifiziert hat, sein Körper machte sich zuletzt immer mehr bemerkbar. „Vielleicht hat das ein oder andere am Ende doch seine Spuren hinterlassen“, versucht er sich einzugestehen. Als Günter Weidemann vor einigen Monaten an einer schweren Lungenembolie erkrankte, war für ihn klar: „Jetzt ist Schluss!“
Eine Tankstelle als Treffpunkt für ein ganzes Dorf
Günter Weidemann zieht den Schlüssel aus dem Schloss der Tankstellentür und wirft einen letzten Blick durch das Fenster hinein. Seine Augen wandern einmal quer durch den gesamten Raum. Dann bemerkt er sein Spiegelbild in der Glastür. Es scheint, als würden die vergangenen 28 Jahre im Zeitraffer vor seinem geistigen Auge verlaufen. Woran er in diesem Moment wohl besonders zurückdenken wird? Vielleicht legt er ja einen etwas längeren Gedanken-Stopp in Erinnerung an seinen ersten „Geburtstag“ als Selbstständiger ein. „Das war ein schöner Tag“, sagt Weidemann während unseres Gesprächs. Im Jahr 1991 war dieser Tag. Auf der gegenüberliegenden Wiese, wenige Meter von der Tankstelle entfernt, ließen Günter Weidemann und Frau zur Feier des Tages eine riesige Party steigen. „Das Highlight war, dass irgendwann auf eben jener Wiese eine Gruppe Fallschirmspringer aus unserem Ort landete, mit Gratulationsbändchen an den Händen“, erinnert sich der Tankwart.
Vielleicht erinnert sich der 58-Jährige aber auch gern daran zurück, wie seine Tankstelle von Jahr zu Jahr zu einem immer wichtigeren Anlaufpunkt für alle Dorfbewohner wurde. „Damals verschwanden die ganzen Tante-Emma-Läden, die für viele Leute hier wichtige Treffpunkte waren und natürlich auch eine schnelle Einkaufsmöglichkeit boten“, blickt Weidemann zurück. Den Scharfoldendorfern fehlte plötzlich etwas. „Ich hatte dann schließlich einfach das Bedürfnis, die Versorgung für einen Großteil der Scharfoldendorfer aufrechtzuerhalten.“
So kam es, dass Günter Weidemann aus seiner Tankstelle einen „Laden“ errichtete, der vor allem auch für die schnelle Lebensmittelversorgung der Dorfbewohner da war. 1996 erfolgte eine Backshop-Erweiterung. Die Freie SB Tankstelle war plötzlich nicht mehr nur eine Tankstelle: Ein ganzes Dorf ging dort ein und aus. Menschen kamen auf einen Kaffee vorbei, hielten ein Pläuschchen oder tranken ein Feierabend-Bier. „Ich hoffe, dass dieser Kontakt und diese Gespräche weiter bestehen bleiben, auch wenn ich nicht mehr so oft in der Tankstelle sein werde“, wünscht sich Weidemann.
Erinnerungen an Günter Weidemann´s soziales Engagement
Wenn die Dorfbewohner und Besucher der Freien SB Tankstelle an die vergangenen 28 Jahre zurückdenken, würden sie sich höchstwahrscheinlich an das große soziale Engagement des Tankwarts erinnern. Viele Projekte wurden von ihm ins Leben gerufen. Einige existieren auch heute noch. Vor gut zehn Jahren zum Beispiel wurden auf Initiative des Tankwarts alle Streifenwagen im Landkreis Holzminden mit Plüschtieren ausgestattet, um Kindern, die Opfer von Unfällen oder Straftaten geworden sind, in Extremsituationen wenigstens ein klein wenig Trost zu spenden.
Das größte und immer noch existierende Projekt ist jedoch die Verschönerung des Lenne-weges. Über viele Jahre wurden bereits tausende Stunden ehrenamtliche Arbeit in die Verschönerungsmaßnahmen gesteckt. Mit dem Verkauf von „Brückenbrötchen“ in seiner Tankstelle sammelte Weidemann zudem immer wieder Geld, um viele der Neuerungen rund um die Lenne mitfinanzieren zu können.
„Einen Großteil meiner Freizeit werde ich sicherlich damit verbringen, weitere Projekte am Lenneweg zu realisieren“, blickt der 59-Jährige vor-aus. Bald schon soll ein weiteres begonnen werden. Wenn die Finanzierung steht, soll direkt an der Lenne eine Art Wasserspielplatz gebaut werden. „Im Ufer-bereich sollen Klettermöglichkeiten und Waschanlagen entstehen“, erklärt er.
Wenn Günter Weidemann über seine Projekte spricht, ist dieser Anflug von Euphorie in seiner Stimme unüberhörbar. Er hat stets alles vor seinem geistigen Auge. Alles abrufbereit. Und wenn er an diesem 31. August 2018 seinen Heimweg antritt, dann wird dieser ihn wie üblich über die Fischtreppe und den Lenneweg nach Hause führen. Und wenn er ungefähr in der Mitte des Weges auf eine stabile Holzbank, die das Arbeitsteam „Lenne-Verschönerung“ gebaut und dort vor einigen Jahren positioniert hat, trifft, wird er für ein paar Minuten Platz nehmen, verweilen und sich nochmal ganz genau den Punkt ansehen, wo demnächst ein Wasserspielplatz entstehen soll.