Höxter (TKu). „HÖXTER HEX HEX“ - Was heute ein witziger Schlachtruf im Karneval ist, war vor 370 Jahren im übertragenen Sinne oftmals ein Todesurteil: „Auf ein Kaffee mit...“ den Huxaria Hexen aus Höxter, die erzählen, was so in „grauer Vorzeit“ in ihrer Stadt vorging. Heute sind die Hexen in Höxter beliebt und werden gefeiert: Die „Huxaria-Hexen“ des einzigen rein weiblichen Karnevalsvereins im Kreis Höxter, die für Freude und Spaß sorgen, und das nicht nur an Karneval. Doch so beliebt wie die Huxaria Hexen heute sind, war der Begriff „Hexe“ vor 370 Jahren allerdings nicht, als der Aberglauben die historische Stadt Höxter und ganz Europa fest in seinem Bann hatte. Die extreme Hexenverfolgung jährt sich in diesem Jahr zum 370. Mal, heißt es von den heutigen Hexen, die dazu folgendes berichten:
In den Jahren 1654 bis 1657 erlebte die Stadt Höxter und das umliegende Corveyer Land eine beispiellose Welle von Hexenprozessen, die mindestens 26 Menschen das Leben kostete. Von diesen armen Menschen wurden 22 verurteilt und danach entweder hingerichtet oder sie starben unter grausigen Haftbedingungen. Diese Prozesse, deren Akten im Stadtarchiv aufbewahrt werden, zeichnen ein düsteres Bild von den sozialen und geistigen Grundlagen, die den Hexenwahn dieser Jahre befeuerten. Dabei geht es weniger um die Frage, wie die Verfolgung ablief, als vielmehr um die psychologische und soziale Dynamik, die die Hysterie und Gewalt erst möglich machte. Bereits in den Jahren des Dreißigjährigen Krieges war es in Höxter zu Hexenverfolgungen gekommen. Insbesondere nach 1630, angetrieben durch die Gegenreformation und durch den kaiserlichen Statthalter von Sieboldsdorf, der im Tod eines Kuhjungen einen Anlass sah, eine Tagelöhnerin der Hexerei zu bezichtigen. Diese Anklage setzte eine Kette von Denunziationen und Foltergeständnissen in Gang, die sowohl Angehörige der Unterschicht als auch Ratsmitglieder betraf. Die sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen des Krieges hinterließen dabei eine traumatisierte und zerrüttete Gesellschaft, die nach Sündenböcken suchte, um das Unfassbare zu erklären. Nach dem Krieg stand Höxter noch immer unter dem Eindruck des Schreckens. Die Stadt war 1634 von kaiserlichen Soldaten gestürmt worden; hunderte Bürger fanden den Tod, und die wirtschaftlichen Grundlagen der Bevölkerung wurden durch Plünderungen und erzwungene Zahlungen vernichtet. Vor allem die Bevölkerungsstruktur veränderte sich drastisch: Die Zahl der alleinstehenden Frauen vervielfachte sich aufgrund des Männerverlustes im Krieg. Die wirtschaftliche Not und die veränderte soziale Struktur schufen einen Nährboden für Misstrauen und soziale Spannungen, die sich in der Hexenverfolgung entluden.
Eine zentrale Rolle im Prozess spielte die Denunziation. Sie diente nicht nur der Anklage von Hexerei, sondern wurde vielfach auch als Mittel eingesetzt, um persönliche Fehden und materielle Interessen durchzusetzen. Ein Beispiel ist der Notar namens Henrich Koven, der die Witwe des „Sivert Hacke“ anklagte, um ein Eheversprechen zu brechen. Die Prozesse offenbaren ein tief verwurzeltes Bedürfnis, unerklärliche Geschehnisse wie Tiersterben oder Krankheit durch Magie zu deuten, und zeigen zugleich, wie wirtschaftlicher Neid Menschen in den Abgrund der Hexenverfolgung reißen konnte. Das Weltbild des 17. Jahrhunderts war von einem Spannungsfeld zwischen Rationalität und Aberglaube geprägt. Zwar verlangten Stimmen wie die des damaligen Bürgermeisters Dietrich Walter nach juristisch stichhaltigen Beweisen anstelle der oft willkürlichen Denunziationen, doch im Alltag spielten magische Praktiken und Rituale eine große Rolle. Schon harmlose Riten des Schutzes, wie das Kreuzzeichen über dem Feuer, konnten Anlass für den Vorwurf der Hexerei sein. Die Ächtung traf dabei häufig Frauen, die sich durch Armut, Verwitwung oder als Angehörige "unehrlicher" Berufe wie Hebammen und Heilerinnen am Rand der Gesellschaft befanden.
Der Vorwurf der Hexerei richtete sich auch gegen Frauen, die gegen die herrschende Sexualmoral verstießen. Verwitwete, die keinen Ehemann fanden, wurden besonders verdächtigt. Tatsächlich waren von den 18 angeklagten Frauen mindestens 13 verwitwet. Der sexuelle Ausschweifung verdächtigt, die angeblich Voraussetzung für die Hexerei sei, warf man ihnen den Kontakt mit "bösen Mächten" vor. Der Hexenprozess wurde so zum Instrument, um soziale Normen und die Kontrolle über das Verhalten der Bürger zu festigen. Die detaillierten Foltergeständnisse der Angeklagten folgten oft einem festgelegten Schema: Sie beschrieben, wie sie die Hexerei von einer anderen Hexe erlernten und durch die Abkehr von Gott die Initiation erfuhren. Die Hexenorgien, die während des Verfahrens geschildert wurden, erinnerten an eine karikierte Nachahmung der sozialen Hierarchie. Auch unter Hexen gab es "Reiche" und "Arme"; die Hexenzusammenkünfte folgten dabei denselben sozialen Hierarchien, die in der ehrbaren Gesellschaft vorherrschten. Die Prozesse gegen Hexen erscheinen so auch als Spiegelbild und dunkle Karikatur einer Gesellschaft, die in sich gespalten war. Der Wahn richtete sich nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern bedrohte durch die Stigmatisierung der "Unehrbaren" das soziale Gefüge als Ganzes. Selbst nach der Hinrichtung galten die Hexen als Bedrohung; so wurden ihre Leichen verbrannt und die Asche an „unehrbaren Orten“ verstreut, um ihnen den Übergang in ein ehrbares Jenseits zu verwehren. Die Hexenverfolgung in Höxter war mehr als ein mörderischer Aberglaube – sie war Ausdruck einer zerrissenen Gesellschaft, die im verzweifelten Versuch, das Chaos des Krieges und die soziale Not zu bewältigen, an archaischen Erklärungen und brutalen Methoden festhielt. Die Prozesse mahnen uns heute an die Gefahren, die entstehen, wenn Vorurteile und gesellschaftliche Zwänge über Vernunft und Menschlichkeit triumphieren. Weitere Informationen zu diesem düsteren Thema können unter folgendem Link nachgelsen werden: https://www.hvv-hoexter.de/wp-content/uploads/2010/08/Die-Hexenverfolgung-der-Jahre-1654-bis-57.pdf.
Foto: Thomas Kube