Holzminden (red). Am zweiten Adventssonntag hatten Vertreter der drei Religionen zu einer besonderen Veranstaltung in die Stadtbücherei eingeladen. Der Einladung folgten zahlreiche Interessierte. Zu Beginn sang Jean Goldenbaum ein hebräisches Lied, wobei er sich selbst auf der Gitarre begleitete. Marlies Linnemann erklärte in ihrer Begrüßung und Einleitung, dass die Idee für die Veranstaltung nach dem 7. Oktober entstanden war. An diesem Tag überfiel die Terrororganisation „Hamas“ Israel.
Gemeinsam mit Ümüt Bayer und Jean Goldenbaum entwickelte Marlies Linnemann in den Tagen danach ein Konzept für eine kulturelle Veranstaltung mit zwei Teilen: Einer Lesung mit Auszügen aus „Nathan dem Weisen“ und einer anschließenden Fragerunde. Warum „Nathan der Weise“? Frau Linnemann sieht beim Autor Gotthold Ephraim Lessing durchaus regionale Bezüge, da Lessing als Bibliothekar in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel arbeitete; Holzminden gehörte damals zum Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. In dem „dramatischen Gedicht in fünf Aufzügen“, wie Lessing sein Werk nannte, verarbeitete der Autor dieselben Vorurteile, die auch heute den drei Weltreligionen gegenüber existieren. Dabei ist das Werk 250 Jahre alt! Linnemann, Bayer und Goldenbaum trugen – mit wechselnden Rollen – Passagen vor, die diese Vorurteile am stärksten demonstrierten.
Auch wenn der Text für heutige Ohren gewöhnungsbedürftig ist, wurden die wichtigen Themen transportiert: Intoleranz versus Toleranz und Offenheit, Hass versus Liebe und Freundlichkeit, Engstirnigkeit versus Großherzigkeit. Die Hauptfigur Nathan verkörpert den weisen Juden, der keinem Vorurteil folgt, sondern eine Weisheit lebt, die ihresgleichen sucht. In dieser Weisheit werden alle Menschen gleichermaßen wertgeschätzt, ungeachtet ihrer Herkunft oder ihres Glaubens. Das Kernstück des Dramas stellt zweifellos die sogenannte Ringparabel dar, die als Höhepunkt zum Ende des ersten Teils vorgetragen wurde. Hierin zeigt Nathan auf, dass alle drei Religionen gleichwertig nebeneinander existieren.
Im Übergang zum zweiten Teil erklärte Jean Goldenbaum zunächst die Bedeutung des hebräischen Liedes zu Beginn, dessen Kernbotschaft darin besteht, das eigene Leben genauso wie das der anderen zu lieben. Nun folgte ein arabisches Wiegenlied, das Goldenbaum aus seiner Kindheit kannte. Dies war bereits der Übergang zum zweiten Teil, denn Goldenbaum erzählte von seiner Großmutter, die als Jüdin in Alexandria mit zwei Muttersprachen – französisch und arabisch – aufgewachsen war. In dieser Zeit lebten Juden und Araber friedlich miteinander. Die Zuhörer konnten die Reise von Goldenbaums Familie nach Brasilien mitverfolgen.
Im zweiten Teil standen die Vertreter der drei Weltreligionen für Fragen zur Verfügung. Ihre Intention dahinter: Es gibt viele Urteile oder Vorurteile, aber wenig Wissen. Deshalb öffneten sie nun den Raum für das Publikum, Fragen zu stellen. Die erste große Frage bezog sich auf die anstehenden Feiertage: Wie feiert eine muslimische Familie Weihnachten in Holzminden? Ümüt Bayer, der in Holzminden aufgewachsen ist, erklärte, dass in den muslimischen Familien kein Weihnachten gefeiert wird und es somit keinen Baum und keine Geschenke gibt. Aber natürlich sei die Weihnachtszeit mit ihrer Atmosphäre etwas Besonderes. Bayer selbst nutzt die Weihnachtszeit, um zu geben und zu schenken, z. B. den Nachbarn eine Freude zu machen. Er beschrieb die großen muslimischen Feiertage und wie sie in Holzminden begangen werden (das Zuckerfest am Ende des Fastenmonats Ramadan und das Opferfest). Jean Goldenbaum ergänzte die Antwort mit Informationen rund um die Feiertage des Judentums; er zeigte die historischen Hintergründe des bedeutenden Fests Chanukka, dem Lichterfest, auf.
Weitere Fragen waren u.a.: Fühlen Sie sich als Muslime in Holzminden angenommen? Und wie würde ich als Christ in der Türkei empfangen? Wie viele Muslime gibt es in Holzminden, und woher kommen sie? Fühlen Sie sich als Jude in Holzminden sicher?
Goldenbaum und Ümüt beantworteten alle Fragen auf ganz persönliche und einfühlsame Weise und gaben damit einen konkreten Einblick in die Situation sowohl der jüdischen als auch der muslimischen Gemeinde in Holzminden.
Den Abschluss bildete das christliche Lied „Du meine Seele, singe“. Das Publikum dankte den Veranstaltern mit kräftigem Applaus für diesen besonderen Sonntagmittag. Marlies Linnemann, Ümüt Bayer und Jean Goldenbaum sind sich sicher, dass dies nicht die letzte Veranstaltung dieser Art gewesen ist.
Foto: Stadt Holzminden